von Dr. med. Heinrich Rossmann, November 2017

Viele alternative Heilverfahren werden durch die fehlende wissenschaftliche Anerkennung ausgebremst. Wissenschaft ist, wenn ein Experiment zu jeder Zeit an jedem Ort gleiche Ergebnisse liefert. Betrachtet man doppelblinde pharmakologische Studien, die relative prozentuale Ergebnisse erzeugen, unter diesem Gesichtspunkt sind die wissenschaftlichen Kriterien nicht erfüllt. Es sind empirische Ergebnisse, die aus wirtschaftlichen Interessen intensiv als wissenschaftlich beworben werden. Selbstverständlich sind empirische Erfahrungen in der praktischen Medizin unerläßlich und die statistischen Erhebungen  ergänzen und erhärten sie. Aber Naturwissenschaft ist es nicht. Auch gibt es keine Institution, die eine wissenschaftliche Anerkennung aussprechen kann.

Auch die EAV hat das Problem. Abgedroschen wie es klingt, die Elektroakupunktur nach Voll leidet unter ihrem Namen. Elektroakupunktur wird auch die elektrische Reizung von gestochenen Akupunkturnadeln zum Beispiel einer Norkose, benannt.

Die erfolgreiche Methode EAV wird im Allgemeinen in das Fach der Außenseitermethoden im Rahmen der fernöstlichen Philosophie gestellt. Etwas was in der westlichen Medizin nur am naturwissenschaftlichen Rande geduldet wird.

Ohne frage hat sie ihren Ursprung in der fernöstlichen Heilweise, der Akupunktur. Anfangs diente sie zur Lokalisation der überlieferten Akupunkturpunkte, denen eine  bessere elektrische Leitfähigkeit nachgesagt wird. Experimentell wurde ein wechselndes elektrisches Verhalten an den Punkten beobachtet. Druck und  Messstrom  erzeugen bei Punkten eine Reaktion bei anderen nicht. Das ist eine oft reproduzierte Tatsache, die einem Schema folgt. Zunächst suchte man Anlehnungen an das östliche Akupunktursystem. Man übernahm die Bezeichnungen nach gewissen Regeln und ergänzte sie. Voll hat sich mit der Erforschung der Punktbezüge und Organbeziehungen ein Denkmal gesetzt. Bald war zu erkennen, dass klinische Diagnosen damit nur mit Einschränkungen zu erzielen sind. Aber klinische Diagnosen sind in der praktischen Medizin nicht alles.

Jahrzehntelange Erfahrungen mit einem standardisierten  Messprogramm in der EAV eröffnet ein Kapitel, das in der Medizin völlig brach liegt, ein Einblick in das Regulationssystem im Organismus. Jedes Messprofil erstellt Daten über bestimmte Regulationsbezirke. In der Summe hat man ein aktuelles Bild der vegetativen Funktionen. Damit können Fehlsteuerungen und vegetative Irritationen, die zu Krankheiten und Leidensdruck führen, frühzeitig erkannt werden.

In der wissenschaftlichen Welt sind Namen von großer Bedeutung. Die Bezeichnung Elektroakupunktur nach Voll (EAV) ist ein Markenzeichen, das Insider nicht missen wollen, zugleich stellt es die EAV in der wissenschaftlichen Welt in eine unglaubwürdige Ecke. Andere Begriffe  zum Beispiel „Organometrie“ und ähnliche wurden gesucht, aber keiner konnte bisher überzeugen. Und keine Bezeichnung traf den wesentlichen Kern des Verfahrens. Das ist auch der Ansatzpunkt aller Gegner und Uninteressierter, die sich durch die falsche Namensgebung berechtigt sehen, sich mit der EAV nicht befassen zu müssen.

So konnte sie sich in der naturwissenschaftlichen Welt, wo sie hingehört, nicht durchsetzen. So wurde das Verfahren oft mit den gängigen esoterischen Verfahren zu verbunden. Nicht dass die Arbeiten eines Sheldrake uninteressant wären. Aber es ist nicht hilfreich sich mit umstrittenen Philosophen und esoterischen Verfahren in Beziehung zu setzen, die selbst um allgemeine Anerkennung ringen, das ist kontraproduktiv und hat sie weiter in der Aussenseiter-Ecke fixiert. Es ist durchaus interessant von solchen Verfahren zu hören, die neue Denkansätze bieten, aber sie müssen nicht zwangsläufig mir der EAV in Verbindung gebracht werden.

Die praktische Darstellung und eine vergleichende Dokumentation der Ergebnisse, Berichte über Erfolge sind viel zu zaghaft in unseren wissenschaftlichen Tagungen und höchstens am Rande erfolgt. Dabei wären wir die Experten gewesen, die durch die Praxis unwiderlegbare Tatsachen hatten.

Voll hat in seinen Fortbildungen fast ausschließlich unendlich viele Punkte und deren Organbeziehungen mitgeteilt und damit zu einer erheblichen Verwirrung beigetragen, denn wer ist schon in der Lage über 1000 Punkte in einer Sitzung zu messen?  Die Punktbeziehungen sind sein Lebenswerk, auf das er stolz sein kann. Aber wie geht man damit um?

Sich auf ein einheitliches Messprofil zu einigen, wäre dazu unabdingbar gewesen. Hier wurde ein 120 Punktprogramm über 30 Jahre erfolgreich verwendet.

Mit der EDV wurden die aussagekräftigsten Punkte ermittelt, die Zahl ist um die fünfzig (!).

Hat man sich beim EKG nicht auch auf bestimmte Standard Ableitungen geeinigt, warum nicht auch bei der EAV?

Aber die Elektroakupunktur nach Voll ist einzigartig und stößt ein bisher unbekanntes Kapitel in der Medizin an. Ich bin mir nicht sicher, ob Voll selbst die Tragweite seiner Entdeckung überblickt hat. Es ging ihm zunächst nur um die Lokalisierung der Akupunkturpunkte zur Therapie. Das war die ursprüngliche Intention. Dann entdeckte man dass diese Punkte unterschiedliche Reaktionen auf Druck und Messstrom hatten.

Die Entdeckung, dass Medikamente die Punktwerte augenblicklich verändern ist der Kern des Verfahrens und seine aussergewöhnliche Erfindung.

Man hatte jetzt eine Entdeckung gemacht, aber das Problem besteht nun in der Interpretation. Voll´s Intention war, aufgrund östlicher Vorgaben, alle Punkte in Beziehung zu Organen und Organteilen zu setzen. Sein Lebenswerk ist die Kreation von über 1000 Punkten und ihre Bezüge zu Körperfunktionen und Körperteilen. Seine Absicht war, medizinische Diagnosen einfach und schnell zu stellen. Leider haben sich die Erwartungen nicht immer erfüllt. Das ist in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen. Besonders maligne Geschwülste entzogen sich der Diagnose. Aber wie sollten sie auch, wenn allein Regulationsvorgänge gemessen werden. Wenn Regionen sich vom Körper abgrenzen, entwickeln sie ein Eigenleben, das der Messung kaum zugänglich ist. Die Zeit in der etwas zu regeln wäre, ist längst vorbei.

Dennoch weisen Regelprofile eine Vielzahl von Störungen auf, die auf eine Unordnung in Organismus schließen lassen. Das Zusammenwirken ist gestört. Der Allgemeinmediziner spricht von einer “vegetativen Dystonie“, einem „chronischen Müdigkeitssyndrom“ und ähnlichem. Diese sog. vegetativen Störungen eilen chronischen Organschäden weit voraus. Als Ursache dafür finden wir eine Masse von verborgenen Lasten, die der Mensch vor sich herträgt und die das Abwehrpotential verzetteln, dazu subklinische Giftbelastungen, die zu langsam abgebaut werden. Ein besonders Kapitel sind die sog. Herde, subklinische, lokale Entzündungen, die Umgebungsreaktionen und Fernwirkungen auf entfernte Körperteile haben. Es gibt sie, ein kranker Zahn kann eine Hüftgelenksarthrose unterhalten. Das wird oft bestritten, aber unsere Medizin hat außer der EAV keine Möglichkeit das nachzuweisen. Es ist aber nicht nur der Zahnherd, der die Arthrose unterhält, man findet eine Mehrzahl von Dysregulationen, die augenscheinlich zusammenwirken.

Die Aufdeckung einer Multikausalität chronischer Erkrankungen ist ein weiteres Plus.

Das war der Durchbruch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts! Hatten doch sehr viele Patienten unter den Einflüssen von Quecksilber, Blei, DDT und anderen Chemikalien chronische Leiden entwickelt. Vor der Entdeckung von AIDS war die Immunologie unterentwickelt, es gab unspezifische Umstimmungsmittel wie das Pyrifer, aber keine spezifische Immuntherapie. Der gezielte Einsatz von Nosoden ist heute noch eine sinnvolle Behandlung zur spezifischen Stimulierung des Abwehrsystems. Auf diesem Gebiet hat die Pharmakologie heute aufgeholt, so dass die Nosoden Therapie nicht mehr die einzige spezifische Immunmodulation ist. Auch besteht ein offizielles Misstrauen gegen Nosoden was in den Arzneimittelrichtlinien Ausdruck findet.

Der Zeitgeist hilft die Umwelt zu schützen, was in strengen Regeln in der Medikamentenzulassung Ausdruck findet.

Aber war nicht Voll und sein Kreis an diesem Wandel beteiligt? Eine Erfindung war die elektrische Kippschwingungstherapie mit der die ersten Geräte ausgestattet waren. Schmerzen und Verspannungen wurden mit modulierten elektrischen Strömen durch Schraffieren und modulierte Durchflutungen behandelt. In den Zahlreichen Schriften wurden gute Behandlungserfolge dokumentiert.  Die zunächst nur von EAV-Ärzten erfolgreich durchgeführten Behandlungen sind stillschweigend in Form von Reizstromgeräten, z.B. der Ionomodulator oder heute Tensgeräte in die allgemeinmedizinischen Therapie übernommen worden. Auch das ist eine der Verdienste Volls, von denen man heute nicht mehr spricht.

Sehen wir einmal den  Messvorgang an. Man bestimmt die Leitfähigkeit eines definierten Punktes durch genormten Druck- und Elektroreiz. Gleichzeitig wird das Messergebnis angezeigt. Da fällt auf, dass bei manchen Punkten der Wert stabil bleibt, bei anderen beobachtet man eine Veränderung, gerade so als würde das Punktareal mit dem Reiz nicht fertigwerden, es könne den Hautwiderstand nicht stabil halten. Es scheint so, als wäre hier eine Schwachstelle, deren Daten leicht gemessen werden können. Sie sind im Rahmen einer Messtoleranz reproduzierbar.  

Schon dies muß Aufmerksamkeit erregen als rein physikalischer naturwissenschaftlicher Meß-Vorgang. Hier ist ein ausbaufähiger naturwissenschaftlicher Ansatz, ganz unabhängig von der Elektroakupunktur  nach Voll.

Als praktische Ärzte leben wir von diesem Beruf und können solche Zeichen nur empirisch erforschen und Erfahrungen austauschen. Für Grundlagenforschung fehlen vor allem Zeit und die nötigen Mittel. Die Erforschung der vegetativen Regulation durch dieses Reiz-Messverfahren kann vielen Leidenden helfen und erschließt ein weiteres Kapitel in der medizinischen Diagnostik.

Der Meßvorgang ist nicht leicht zu erlernen, aber Röntgenologe wird man auch nicht in einem Tag.

Halten wir das Ergebnis fest: Es gibt Hautpunkte, die einmal auf Reiz reagieren und einmal nicht. Das ist doch bemerkenswert! Das kann kein Zufall sein! Was steckt also dahinter?

Die Existenz dieses Zeichens wird seit über 50 Jahren von Ärzten bestätigt und ist in unzähligen Meßprofilen dokumentiert.

Bei einer solchen Entdeckung steht man vor der Frage, was macht man damit? Die EAV Ärzte sind überzeugt, dass nur die von der fernöstlichen Akupunktur überlieferten Punkte derartig reagieren. Haben sie sich doch jahrhundertelang in der chinesischen Medizin als wirksame Triggerpunkte bewährt. Sie haben also einen praktischen Hintergrund. Die dahinterstehende Philosophie scheint in der modernen Medizin als antik und unverständlich. Aber es müssen Erfahrungen dahinter stehen, die  heute noch gelten. Ein Hindernis sind die in unserem Kulturkreis unverständlichen Bezeichnungen und ihrer Zusammenfassungen in Form der sog. Meridiane, die oft nach Organen benannt sind. Nicht Auszuschließen sind Übersetzungsfehler und Missverständnisse, nach denen zum Beispiel der Begriff „Leber“ im asiatischen Bereich weitere Bedeutungen hat. Kritikern fällt es leicht Sie zu widerlegen und damit die ganze Methode abzulehnen um keine kostbare Zeit für eine obsolete Methode zu verschwenden.

Als Arbeitsgrundlage sind sie brauchbar. Voll hat sein Lebenswerk darin gesehen, diese Punkte Organen oder Organteilen zuzuweisen. Diese Beziehungen sind heute nur eingeschränkt haltbar und können nicht zur klinischen Diagnosestellung verwendet werden.

 Die Beziehungen der Punkte zur Organen und Organteilen, wie Voll sie beschrieben hat, sind nach meinen Jahrzehntelangen Erfahrungen als brauchbare Hinweise zu betrachten, denen man nachgehen muss.  Es ist dokumentiert, dass einige Punkte sehr oft pathologische Zeichen zeigen, andere überhaupt nicht. Es ist also an der Zeit sich auf ein aussagekräftiges Messprofil zu einigen. Meiner Ansicht nach ist das überlebenswichtig für die EAV. Aufgrund unserer Daten können wir kurze Profile vorschlagen zum Beispiel mit 50 Punkten. Wir können auch Punktkombinationen für klinische Diagnosen anbieten, an denen  sich eine Therapie orientieren kann.

Und doch hat sich die Elektroakupunktur nach Voll in meinen 40 Praxisjahren als Facharzt für Allgemeinmedizin bewährt. In der Allgemeinpraxis steht man vor der Situation, dass jeder Patient, der ein organisches Leiden hat, sofort seinen Facharzt findet und dort bleibt. Trotzdem haben wir genug Patienten mit Befindlichkeitsstörungen, denen nichts offensichtlich organisches fehlt und die doch unter einem erheblichen Leidensdruck stehen. Nicht alle haben psychische Störungen, viele haben das chronische Müdigkeitssyndrom, eine vegetative Dystonie und wie alle Bezeichnungen sind. Das sind Störungen der Körperregulation, die durch diese Untersuchung aufgedeckt werden. Naturgemäß gibt es kurze und langfristige Regulationsstörungen. Jede Änderung der Umwelt wird eine Regulation auslösen, die sich dann nivelliert, wenn die Noxe verschwindet. Subklinische Störungen oder Krankheiten werden sie lang belasten, sie werden in einem Übersichtsprofil offenbar.

In diesen Fällen ist eine standardisierte EAV-Untersuchung sehr aufschlußreich und bietet uns neben der Anamnese einen therapeutischen Zugang zum Patienten, dem dann geholfen werden kann. Man kann sich dann an allopathischen (spannungslösenden), phytotherapeutischen, spagyrischen oder/ und homöopathischen Medikamenten orientieren. Es muß nicht zwangsläufig, die von Voll inaugurierte Nosodentherapie sein.

Die standardisierte EAV-Übersichtsmessung ist neben den weiteren Optionen der EAV, über die später zu berichten ist, eine wesentliche diagnostische Errungenschaft, die die Medizin erweitert. Sie ist zwingend erforderlich, wenn sie in der Allgemeinmedizin Fuß fassen soll.

Es liegen genug Daten für wissenschaftliche Evaluationen vor.